Julia Leitmeyer – Integrative Gestaltung | Masterstudio
Mein liebster Ort in Basel:
Mein Lieblingsort ist Reihe 5, Platz 12 im Schauspielhaus Theater Basel.
Darum Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW:
Ich habe mich für die HGK entschieden, um die unschlagbaren Vorteile eines transdisziplinären Masters zu geniessen.
Das zeichnet meine Generation aus:
Meine Generation hat eine kollektiv gespaltene Persönlichkeit: Wir schwimmen im Wohlstand und ertrinken an der freien Wahl. Wir streben nach Individualität und leben Uniformität. Wir schreiben ein Leben lang an den eigenen Memoiren und finden keinen, der sie liest. Wir sind die nonkonformen Konformisten, die monogamen Nymphomanen, die systemtreuen Rebellen.
Das zeichnet mich aus:
Ich übe Gesellschaftskritik ohne anzuklagen. Ich inventarisiere die mich umgebende Welt, sortiere, kombiniere, koloriere sie und fungiere dennoch nicht als allwissender Kurator, sondern als Moderator einer kollektiven Diskussion. Ich setze nicht auf den mahnenden Zeigefinger, sondern auf zuckende Mundwinkel. Ironie und Selbstspott sind dabei meine wichtigsten Gefährten.
Das wünsche ich mir für die Zukunft dieser Gesellschaft:
Ich wünsche mir eine analytische und diskussionsfreudige Haltung gegenüber der Welt und eine kritische Einstellung gegenüber uns selbst. Wir sollten unser Verhalten hinterfragen, unser Auftreten belächeln und unsere Ansichten vertreten. Ich wünsche mir, dass wir NICHTS als gegeben ansehen, dass wir wagen, Realität verhandelbar zu machen und Fiktion als Option anzuerkennen.
So kann ich als Gestalterin dazu beitragen:
Indem ich in meiner Arbeit auf die Gegenwart Bezug nehme, mich positioniere in Zeit und Raum, Zusammenhänge verdeutliche und Diskussionen initiiere. Ich biete keine Lösungen, ich lade zum Gespräch, ich kritisiere nicht aus analytischem Abstand, sondern werde selbst zum kontextuellen Knotenpunkt.
Diese Personen inspirieren mich:
Inspirieren lasse ich mich von SIGNA, Rimini Protokoll, René Pollesch und J.M.Barry.
My work! Meine Arbeitsweise in einem Satz:
Ich bin das theatrale Schleppnetz der Moderne: Auf der Jagd nach dem einen grossen Fisch endet der Abfall der Gesellschaft unfreiwillig in meinem Maschen und wird ausgeweidet, zubereitet, einverleibt.
Der Titel meiner Abschlussarbeit:
«dididit dahdahdah dididit – zwischen Wahnsinn und Perfektion»
Darum geht es:
Für meine Masterarbeit beschäftigte ich mich mit Selbstoptimierung als gesellschaftlichem Phänomen. Mein Ansatz war die Fragestellung, welche Anteile des zu beobachtenden Selbstformierungsprozesses bewusst vollzogen werden und was einfach passiert, ohne dass es das Bewusstsein des teilnehmenden Individuums erreicht. Findet ein Prozess, der die Welt nachhaltig verändert und den wir in ferner Zukunft wähnen, schon heute statt – und nehmen wir gerade daran teil? Aus diesem Ansatz ergeben sich automatisch weitere Fragen: nach dem Ziel der Reise, der Rolle der neuen Medien in diesem Prozess, aber auch nach einem Mitbestimmungsrecht an der eigenen Optimierung – letztlich die Frage nach dem Wesen des Menschen.
Wir ruhen in dem tiefen Glauben, dass Totalüberwachung ein futuristisches Gebilde und Privatsphäre ein unbezwingbarer Fjord sind. Aber Big Data liegt nicht in der Zukunft und die Verknüpfung der digitalen mit der analogen Welt ist auch nicht der «nächste grosse Schritt». Sie sind bereits Teil unserer Wirklichkeit und liegen doch jenseits unserer Wahrnehmung.
Um die unterschiedlichen Aspekte der Selbstoptimierung in eine räumliche Arbeit zu übersetzen, gründete ich die S.O.S-Zentrale: eine Telefonzentrale, die mit neun Telefonzellen in der Innenstadt Basels verknüpft ist und über die ich meinen Kunden höchstpersönlich Selbst-Optimierungs-Support anbiete. Selbst-Optimierungs-Support ist natürlich ein in sich widersprüchlicher Begriff, welcher den der autonomen Initiative mit dem der Fremdsteuerung verbindet. Zwischen der Arbeitsweise eines Callcenters und dem der Selbstoptimierungs-Praktiken gibt es grundlegende Parallelen: Beide versprechen Konzentration auf das Individuum, persönliche Begleitung und bieten dabei doch grösstenteils standardisierte Handlungsabläufe und vorgefertigte Scripts.
Im Rahmen der «Next Generation» Ausstellung werde ich jeden Tag am Empfangstresen meiner Telefonzentrale Platz nehmen. Besucher erhalten von mir in einem persönlichen Beratungsgespräch die Empfehlung einer Optimierungsroute durch die Innenstadt Basels. Ich händige Stadtkarten und Mitgliedsausweise mit Telefonguthaben aus und freue mich darauf, Interessierte sieben Tage lang reibungslos zu optimieren. Die Selbst-Optimierungs-Support-Zentrale übernimmt keine Verantwortung für eventuell entstehende Schäden und Lebenskrisen.
Weshalb dieses Thema bzw. diese Arbeit?
In meiner Bachelorarbeit beschäftigte ich mich mit der Überprotektion des Individuums im Alltag, mit einer Gesellschaft, in der individuelles Handeln und eigenständiges Denken als Risiko empfunden und als Gefährdung der allgemeinen Sicherheit gehandelt werden. In diesem Zusammenhang stiess ich auf das Thema der Selbst-, bzw. Fremdoptimierung. Während meiner Recherchen wurde mir bewusst, dass Selbstoptimierung sich nicht auf eine Gruppe oder Bewegung beschränkt, sondern ein grenzübergreifend gesellschaftliches Phänomen darstellt. Es beginnt mit der Inszenierung des Alltags, mit Filtern, Supplementen und Selbstzensur und endet mit der posthumen Optimierung – dem kuratierten Leben nach dem Tod. Selbstoptimierung eignet sich als Thema somit vorzüglich zu theatraler Inszenierung, zum räumlichen Diskurs und bot mir neben seiner Brisanz alles, was mein Herz begehrte.
Mit dieser Institution möchte ich gerne ein Projekt realisieren:
Ich würde mit meiner Performance unglaublich gerne als diskussionsfreudiges Begleitprogramm an der Museumsnacht in Basel teilnehmen… Die Innenstadt Basels ist reichlich mit Telefonzellen ausgestattet und in der Nähe jedes Museums befindet sich damit ein geeigneter «Optimierungsstandort». Und wo wäre eine Diskussion rund um die Zukunft von Individualität, Einzigartigkeit und Kreativität besser aufgehoben als in der Nacht, in der sich alles um Kunst und Kultur dreht? Ansonsten bin ich an jedem Projekt interessiert, das gesellschaftliche Analyse mit Gestaltung und Humor verbindet.
Diesen Mentor oder diese Mentorin wünsche ich mir in meiner weiteren Laufbahn bzw. für mein weiteres Schaffen und Vorankommen:
Ich hatte in Bettina Köhler eine unglaublich inspirierende, humorvolle und undogmatische Mentorin, die mir als Diskussionspartnerin mit ihrem kritischen Blick und ihrer positiven Art das ganze Jahr zur Seite stand. Ihre Kunst, durch vielfältiges Interesse weitläufige Kenntnisse zu erwerben, ohne sich auf ihnen auszuruhen, ihre Fähigkeit, die Vergangenheit zu würdigen, ohne die Gegenwart deren Gesetzen zu unterwerfen, bewundere ich zutiefst. An erster Stelle würde ich mir also wünschen, weiterhin von Bettinas Revolutionsgeist und ihrem schier grenzenlosen Wissen profitieren zu können.
Das werde ich nach erfolgreichem Abschluss des Studiums (beruflich) unternehmen:
Ich steige in das Kreativteam des Atelier Brückner in Stuttgart ein und werde dort hauptsächlich im Wettbewerb Ideen, Konzepte und Entwürfe für künftige Projekte in der Szenografie erarbeiten.
Must read:
Ganz wunderbar finde ich die Vorlesung von Peter Sloterdijk zum Thema «Optimierung des Menschen»
Ausserdem empfehle ich von Prof. Dr. Walther Zimmerli «Machen wir die Zeit, oder macht sie uns?»
Mein Lieblingsblog ist noviceartblogger.tumblr.com
Julias akustisches Portrait von RADIO X gibt es hier zu hören.